Du mußt Caligari werden

The Internet Source Book for Early German Film

Final update: 11.11.1999 — Editors: Olaf Brill & Thomas Schultke
We shut down. All good things must have an end. - But we'll be back. January 1, 2000. www.filmgeschichte.de


Fern Andra

 Fern Andra

aka Fern Edna Andrews aka Fern Andrée
Actress, Producer, Writer, Director (1893 - 1974)








 F I L M O G R A P H Y





 T E X T S   A B O U T   F E R N   A N D R A


Walter Hasenclever: Fern Andra

Die Redaktion dieser Zeitschrift fordert mich auf, für das Sonderheft, das der großen Künstlerin gewidmet ist, die einleitenden Worte zu schreiben. Ich will versuchen, mein bescheidenes Maß in den Dienst der Kräfte zu stellen; ich will das Bild einer Persönlichkeit nachzeichnen, die zum Symbol der Nation geworden ist. Ich erschrecke nicht vor der Größe der Aufgabe, obwohl ich bedaure, in einem Jahrhundert zu leben, das für seinen Enthusiasmus nur das dürftige Papier einiger Filmzeitschriften erfand; es ist ein schlechter Trost für mich, daß der Präsident der Republik einen Kranz in Weimar niederlegte, der dem Genius des Ortes gewidmet war. Meine Aufgabe ist, den Genius der Zeit zu finden. Ich habe ihn gefunden. Er heißt Fern Andra! Ich weiß, man wird einwenden, ich könnte unter dem Schutz der literarischen Freiheit, die uns die Revolution gewährleistet, meine Sachlichkeit zugunsten meiner Freiheit mißbrauchen. Nichts liegt mir ferner! Ich habe zuviel Ehrfurcht vor den Gütern der Nation, um kritisch zu sein. Ich umgebe die tragische Muse mit dem Zauber der Voreingenommenheit und behaupte, daß Fern Andra unsere größte Schauspielerin ist.

Denn sie ist unser! Das Wunder des Expressionismus, dieser geheimnisvollen Kunst, die so viele Geister und so wenig Geist erzeugt hat, vollzieht sich bereits am dreijährigen Kind. Im Alter von drei Jahren betritt sie zum ersten Mal die Bühne in der Rolle eines stummen Engels. Lesen wir, was ihr Biograph im zehnten Heft von "Film und Brettl" berichtet:

"Damals hatte unsere Künstlerin anscheinend noch kein Verständnis für stumme Kunst, denn sie begnügte sich nicht damit, himmlische Ruhe zu markieren und andachtsvoll über die Bühne zu fliegen, sondern sie erhob gegen diese Tätigkeit einen geharnischten Protest, der sich darin äußerte, daß sie während des Aufenthalts auf der Bühne entsetzlich zu weinen begann."

[S. 298] Ich weiß nicht, ob die ekstatischen Schreie des "Jungen Deutschland" damals schon bekannt waren. Der Biograph irrt, wenn er meint, die Künstlerin habe im zarten Alter noch kein Verständnis für die Kunst. Das Genie ringt nach Worten; es deutet die Vorstellung des Engels um in kindische Laute. Wir stehn an der Wiege des Dadaismus. Bilder aus jener Zeit sind uns erhalten, wir sehen die Schauspielerin mit ihrem ersten Partner. Unnachahmliche Geste, die Beine zu lüften; auf dem Gesicht der erschütternde Ausdruck, Liebling des Volks zu sein! Hätte Napoleon einen Busen gehabt, er hätte so siegesgewiß nicht die Hände unter ihm kreuzen können, wie die siebzehnjährige Fern. Die Genealogie dieses Kindes trägt alle Spuren des Geistes, vor dem fünf Erdteile sich beugen. Mutter und Großmutter ziehn vor unserem Auge vorüber. Sieben Städte stritten um die Ehre von Homers Geburt; Griechenland hatte Homer - Berlin Fern Andra. Die Wolke der Kinobesucher, von dieser Sonne bestrahlt, erhebt sich aus den Niederungen in eine Höhe, wo die reine Reklame waltet. Rennfahrer starten, die um Preise, von ihr gestiftet, radeln. Sisyphos in der Unterwelt hört auf, den Stein zu wälzen; die Danaiden schöpfen nicht mehr; Hades, der finstere Gott, lehnt den Arm um Persephoneia. Schon flammt auf dem Potsdamer Platz das Riesenangebot amerikanischer Operateure, Auf der Leinwand des Styx, die Zeus selbst bei Baruch gekauft hat, rollt donnernd ihr erster Film.

Bürger, betrachtet ihr Antlitz, wie sie Blumen liebkost! Seht sie, hingegossen auf der Ottomane, die liebliche Fern. Seht, wie sie lacht, wie sie telefoniert, wie das Auge langsam mit Tränen sich füllt! Eine ergreifende Anekdote erzählt uns der Biograph:

"Ein geschäftstüchtiger Direktor engagierte das junge Mädchen für eine Tournée durch alle großen Städte Amerikas und ließ sie eine tragende Rolle in einem Drama darstellen, dessen Höhepunkt in einem Schrei bestand, der sich der gequälten Mädchenseele entringen sollte. Doch das "Entringen" war nicht so einfach. Der Schrei fiel nicht zur Zufriedenheit des Direktors aus, und so kam man auf die Idee, Fern Andra in dem geeigneten Moment derartig an den Haaren zu reißen, daß das arme, gequälte Geschöpf Schmerzensschreie [S. 299] ausstieß, die an Wucht und Natürlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Es ist nur selbstverständlich", fährt der Biograph fort, "daß dieser Schrei nicht ungehört erklang, er bildete den Grundstock der Popularität!"

Kann der Siegeszug der neuen Kunst deutlicher gezeigt werden? Wir, die wir trauernd am Grabe der Duse standen, stehn erschüttert vor der Gewalt eines neuen Schmerzes. Der Expressionismus beginnt; Fern Andra ist geboren. Die Berge kreißen und der Schrei wird populär.

Die Künstlerin hatte die Freundlichkeit, mir ein Interview zu gewähren. Sie empfing mich in ihrem Salon; an der Wand hingen Bilder von Kaiser Wilhelm und Kaiser-Titz, der Plafond war täuschend in einen Sternenhimmel verwandelt, wobei kunstgerecht aus jedem Stern eine elektrische Lampe strahlte. "Ich habe", sagte Fern Andra lächelnd, "meinen Salon in einen Himmel verwandelt, damit ich mir jederzeit die Illusion des Firmamentes verschaffen kann. Die Tendenz meiner Filme ist der Jetztzeit angepaßt. Ich folge den Spuren Kants: der gestirnte Himmel über mir und das Sittengesetz in mir!" Sie drückte auf einen Knopf. Eine Sternschnuppe in Gestalt einer Konkurrentin fiel vom Plafond. "Meine Jugend war hart", fuhr sie fort, während zwei weiße Katzen, ein Geschenk der Nationalversammlung, zu ihren Füßen schnurrten. "Obwohl Künstlerblut in meinen Adern rollt, sollte ich Tippmamsell werden. Es kam anders. Ich wurde berühmt. Es wird Sie interessieren, daß ich alle meine Filme selbst schreibe. Ich spiele nicht nur, ich führe Regie. Manchmal kurbele ich. Ich bin ein Wunderkind! Ich kann reiten, tanzen, schwimmen, autofahren, rudern, fliegen, lesen und schreiben. Amerika hat mich geboren, der Ozean gesäugt, Deutschland ist meine Heimat geworden. Mein Bild hängt in allen Schulen. Fünf Schreibmaschinen arbeiten ununterbrochen. Ich diktiere meine Lebensgeschichte". Die Künstlerin schwieg. Die Planeten im Plafond drehten sich, die elektrischen Lampen strahlten. "Das Geheimnis des Erfolges", lächelte sie, "ist der Glaube an die Dummheit. Ich bin nicht nur klug; ich bin schön! Ich habe ein Preisausschreiben für Schönheit erlassen. Ich werde mich selbst prämiieren. Das ist mein größter Trumpf". Rote Vorhänge wehten ins Zimmer, verhüllten den neckischen [S. 300] Leib der Schauspielerin; nur das Gesicht leuchtete magisch, venetianisch. "Ich will meine Biographie verfilmen. Ich will mich selber spielen", hauchte sie.

Ich ging. Plötzlich veränderte sich der Horizont. Aus der Peripherie, die Berlin umwölkte, stiegen Säulem; die Stadt wurde zum Amphitheater. Eine unsichtbare Musik spielte den Masrch aus Aïda. Auf der Estrade, ähnlich den römischen Kaisern, saß die göttliche Diva und verschenkte ihr Bild. Unten aber im weiten Saal der Arena schritt der Zug der Gladiatoren; ich sah die Durieux, die Eysoldt, die Annemarie Seidel in weißen Gewändern, wie sie langsam der Estrade sich näherten: "Ave, Andra, moriturae te salutant!"

Walter Hasenclever: Fern Andra. Die neue Schaubühne (Dresden) Heft 10, 01.10.1919, S. 297-300 (Text transkribiert von Olaf Brill).





Vera Bern-Luzern: Ein Flimmerausflug
(Auszug)


[...] Völlig außer Rand und Band gerieten die Zimmermädchen aller Etagen des Zähringerhof, als der Name Fern Andra auf dem Anmeldeschein auftauchte: Fern Andra mit Jungfer, Gesellschafterin, Sekretärin! . . . Ob ein Lebewesen sich in alle drei Funktionen teilte, oder ob sie wirklich mit Gefolge reiste, blieb unaufgeklärt, aber daß die "Masseuse" Fern Andra auf ihren Reisen mit griffgewohnten Händen begleitet, die gleiche Masseuse, die - man denke - auch Henny Porten zeitweilig ihre Dienste leiht, blieb selbst den frauenfeindlichsten Gästen des Hotels kein Geheimnis . . . Und daß der noch ungeborene nächste Fern Andra-Film schon für sieben - warum nicht gleich siebzig? - Millionen verkauft sei, wurde mit ehrfürchtigem Schauer erzählt.

Schmerzlich, äußerst schmerzlich war es nur, daß nach Fern Andras Abreise Freiburg sich nicht darüber einig war, wer denn eigentlich Fern Andra gewesen sei . . . die eine der beiden englisch sprechenden Damen - oder die andere - sie waren nämlich beide sehr hübsch. [...]

Vera Bern-Luzern: Ein Flimmerausflug. Der Kinematograph (Düsseldorf) No. 692/93, 25.04.1920 (Text transkribiert von Olaf Brill).


 L I N K S


to our pages of Andra's films:

 Genuine
Genuine (1920, Robert Wiene)



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