Du mußt Caligari werden

The Internet Source Book for Early German Film

Final update: 11.11.1999 — Editors: Olaf Brill & Thomas Schultke
We shut down. All good things must have an end. - But we'll be back. January 1, 2000. www.filmgeschichte.de


Genuine

 Genuine

1920, Robert Wiene





 After Das Cabinet des Dr. Caligari paved the way, Genuine was the second expressionist film. The writer was once again Carl Mayer, the director Robert Wiene, but the sets were painted by César Klein and his team. Hermann Warm (of Caligari) said: "Wiene asked me to do the set decorations for Genuine; I refused because in my opinion the story, in spite of Carl Mayer, didn't demand an expressionist forming." The film stars Fern Andra as the blood-drinking Genuine and Hans Heinz von Twardowsky as the boy who falls in love with Genuine. Until recently, the film was considered as practically not preserved, but in 1996, the film museums of Munich, Toulouse and Bologna presented a restored version. (Olaf Brill)



 D A T A   S H E E T


Genuine (1920)
— Die Tragödie eines seltsamen Hauses

Genuine: A Tale of a Vampire
Genuine

Produktionsgesellschaft / Production company: Decla-Bioscop AG, Berlin.
Atelier / Studio: Bioscop-Atelier, Neubabelsberg.
Premiere / Première: 1920 September 02, Marmorhaus, Berlin.
Drehbuch / Writer: Carl Mayer.
Regie / Director: Robert Wiene.
Bauten / Set designer: César Klein, Bernhard Klein, Kurt Hermann Rosenberg.
Kostüme / Costume designer: César Klein.
Kamera / Photographer: Willy Hameister.
Darsteller / Cast:
Fassungen / Versions:
Kopien bei / Prints available:



 A N N O U N C E M E N T S   I N   C O N T E M P O R A R Y   P R E S S


Genuine redivivus

Wie wir erfahren, wird der Decla-Film "Genuine" mit Fern Andra in der Hauptrolle demnächst auch in Paris gezeigt werden, nachdem der Erfolg des "Caligari" diesem eigenartigen deutschen Genre den Weg geebnet hat. Allerdings mußte der Regisseur des Films, Robert Wiene, eine gründliche Bearbeitung des Films und durchgreifende Aenderungen vornehmen, um das Bildwerk für Frankreich und vor allem für die französische Zensur annehmbar zu machen.

Der Vertrieb von "Genuine" in Frankreich erfolgt durch die International Film Exchange, die bekanntlich in Berlin eine Zweigstelle unterhält.

Der Film (Berlin) 07.05.1922, S. 53 (Text transkribiert von Olaf Brill).



 R E P O R T S   A B O U T   T H E   F I L M ' S   P R O D U C T I O N


Fern Andra stellt zurzeit bei der Decla-Bioscop die letzten Szenen des von Robert Wiene inszenierten Films "Genuine" fertig. Der Film verspricht einer der interessantesten der Saison zu werden.

Meldung aus Lichtbild-Bühne (Berlin) No. 32, 07.08.1920, S. 48 (Text transkribiert von Olaf Brill).





Der große Decla-Film "Genuine" mit Fern Andra wurde von Dr. Robert Wiene im Rohabzug bei der Decla-Bioscop A.-G. zum ersten Male vorgeführt. Kenner behaupten, daß sich in diesem Filmwerk, in welchem Fern Andra als Schauspielerin eine Meisterleistung bietet, eine Sensation vorbereitet, welche den Erfolg vom Caligari weit übertreffen dürfte.

Meldung aus Lichtbild-Bühne (Berlin) No. 35, 28.08.1920, S. 41 (Text transkribiert von Olaf Brill).



 C O N T E M P O R A R Y   R E V I E W S


L. K. Fredrik: "Genuine", Marmorhaus

Es gibt gute Filme, und es gibt schlechte Filme. Es gibt solche, die es ernst meinen und lächerlich wirken, und es gibt komisch sein sollende, die eine allzu tragische Miene tragen. Es gibt aber auch Filme, über die man zur Tagesordnung übergeht, und solche, über die man nicht nur lebhaft diskutiert, sondern sogar nachdenkt (was man nicht einmal nach jedem Theaterstück und auch nicht nach jedem Buch immer tut).

Ein solcher Film ist die neue Decla-Leistung "Genuine", die gestern im "Marmorhaus" vor die Öffentlichkeit hintrat.

Wir haben eben erst "Sumurun" gesehen. Ein Vergleich läge nahe. Dort Märchenland — hier Phantastik. Dort orientalischer Zauber — hier ein abendländischer Zauberer, oder wenigstens so etwas Ähnliches. Doch Vergleiche hinken bekanntlich immer. Lassen wir's also.

Ich sagte gestern: Film muß wirklich sein. Wahr braucht er nicht zu sein. "Genuine" ist wirklich, aber sie ist nicht wahr. Es gibt auch eine phantastische Wirklichkeit, — auch die Träume sind echt, doch wirklich, solange wir sie erleben. (In dem Wort "erleben" steckt schon der Beweis für den Wirklichkeitsgehalt.) Aber wahr? — Träume sind Schäume, sagt ein banales Volkssprichwort. (Es gibt allerdings auch Käuze, die diese "Schäume" für wahr halten. Doch das nebenbei.) Die "Genuine" ist jedenfalls ein Schulbeispiel dafür, wie die phantastische Wirklichkeit gestaltet werden kann.

Genuine ist kein Fabelwesen, wie die Alraune, die der Retorte des Forschers entstieg, oder wie Homunculus. Sie ist ein natürliches, unnatürlich gewordenes Lebewesen, das am Ende wieder zur Natur zurückkehrt. Einleitend wird ihr Roman erzählt. "Genuine" mußte schon als Kind Blut trinken. Eine geheimnisvolle Sekte zwang sie dazu." Uns wird das später gezeigt, wie. Auf einem von Schleiern wundervoll mattierten Bilde sehen wir Genuine (allerdings schon reichlich ausgewachsen) in den Händen der Sekte. Man reicht ihr den Blutkelch, sie muß trinken. Da stürzen Sklavenhändler herein. Genuine wird geraubt, um auf dem Sklavenmarkt verkauft zu werden. Dort findet und erwirbt sie der Sonderling. Er entführt sie in ein geheimnisvolles Haus, das in irgendeiner kleinen irischen, von Ackerbürgern bewohnten Stadt steht, baut ihr eine unterirdische Grotte mit Bäumen und Gewächsen aus den heißen Gegenden, denen sie entstammt, gibt ihr die reizvollsten Gewandungen und läßt sie das Blut von Vögeln trinken. Tropenglut und Blutgenuß lassen in ihr den Blutrausch nicht vergehen, halten ihn wach. In der Stadt lebt ein harmloser Barbier, der dem Sonderling täglich die Wangen säubert. Sonst weiß er von dem geheimnisvollen Hause, das von einem riesigen Neger bewacht wird, nichts. Er hat einen Neffen Florian, der sein Lehrling ist. Florian muß den Barbier einmal vertreten. Genuine erscheint. Ihr Blutwille zwingt Florian, dem alten Sonderling die Kehle abzuschneiden. Florian und Genuine im Liebesrausch, nachdem ein geheimnisvoller Ring die Rachegelüste des Negers gebändigt hat. Genuine kann aber ohne Blut nicht leben. Sie fordert Florians Tod. Sie hat ihm den Ring der Macht geraubt. Der Neger gehorcht. Trägt aber ein weißes Herz in seinem schwarzen Busen, stößt Florian in die Freiheit, die er nicht will, öffnet sich selbst eine Ader und reicht sein Blut Genuine (ohne das die Wunde weiter blutet!). Ihr Rausch aber ist verflogen: sie schleudert entstetzt den Becher von sich. Ein erstes Erwachen.

Da erscheint der Enkel des Sonderlings. Genuine und dieser Enkel im Liebesrausch. Hin und wieder blutdürftige Anwandlungen. Bis die Liebe sie einigt. Aber nun ist es zu spät. Florian ist zu seinem Onkel zurückgekehrt. Im Fieber nennt er sich "Mörder", der er ja auch ist. Der Onkel erregt die Stadt, die trotz Wohltaten, schon von Mißtrauen gegen das geheimnisvolle Haus erfüllt ist. Man dringt gewaltsam ein. Der Neger fällt unter Sensenstreichen. Aber Florian, der zuvor bei Genuine eingedrungen ist und zugunsten des neuen Liebhabers abgewiesen wurde, hat bereits das Henkerwerk, das die Volksmenge beabsichtigte, vollzogen: Genuine ist von seiner Hand erdolcht worden. An ihrer Leiche bricht er zusammen.

Das ist die Handlung die Carl Mayer, der Schöpfer des "Caligari", erfunden hat. Sie ist bunt, aber nicht konsequent durchgeführt. Sie ist Anlaß, aber nicht Vollendung. Die psychologische Konsequenz fehlt. Und die Logik? — sie wird auf den Kopf gestellt. Doch was schadet's! Wir sind ja im Zauberland des Phantastischen. (Daß es hätte anders gestaltet werden können, ist eine Ansicht, für die Beweise zu erbringen sind.)

Eine glänzende photographische Leistung zeigte uns herrliche und überraschende Bilder. Das Publikum purzelt förmlich von einer Überraschung in die andere, — wie Fern Andra - Genuine aus einem entzückenden und reizenden Kostüm in das andere schlüpft. Sie hat ausgiebig Gelegenheit, ihre Reize zu zeigen, und macht reichlichen Gebrauch davon. Sie spielt die Genuine vermenschlicht, vielleicht zu vermenschlicht, vielleicht nicht tierisch genug. Das Tierhafte und das Treibende im Blutrausch kommt nicht zu so scharfem Ausdruck, wie es vielleicht gewollt war. Sie erreicht natürlich ihren Zweck: sie sieht immer schön aus. Ob das für die Tragik ausreicht? Außerdem soll es auch Leute geben, die usw. Über den Geschmack läßt sich eben doch streiten!

Der Sonderling von Ernst Gronau ist gut, charakteristisches Altmännlein. Der Florian des Hans Heinz von Twardowsky eine ausgezeichnete Leistung. Überschlanke, schwächliche, sinnlich erregende Jünglingshaftigkeit, die eben erst zum Leben und Liebe erwacht, mit großen verwirrten, beirrten Träumeraugen, mit weiten, schwingenden Gesten, mit lebhaftestem Mienenspiel, das Liebe und Lust, Entsetzen und Entzücken, Sehnsucht und Tollheit glänzend widerspiegelt. Der Friseur des Herrn John Gottkowt auch sehr gut; ganz der einfache, aber von seiner seltsamen Sondermission beglückte Mann aus dem Volke. Kein Zuviel und kein Zuwenig, hier gutes Maßhalten. Harald Paulsen, Albert Bennefeld und der Neger Lewis Brody vervollständigen das gute Ensemble.

In der Regie von Robert Wiene stolpert man über allerhand; aber das liegt wohl mehr am Stofflichen. Die Dekorationen und Kostüme machen dem Malerauge César Kleins alle Ehre. Die Photographie von Willy Hameister ist einfach erstklassig. Sie wird viel zu der Verbreitung des Films beitragen.

Carl Mayer hat den Weg, den er mit "Caligari" betrat, weiter beschritten. Daß er die Idee nicht mit Konsequenz gemeistert hat, ist nicht ganz allein seine Sache. Es ist, als sei das Marmorhaus für solche phantastischen Angelegenheiten erbaut worden. Stileinheit zwischen Räumlichkeiten und Gebotenem war gewahrt. Die Titel in bizarr verzerrter und verwischter Schrift zu geben, ist zwar stilecht, ob aber auch praktisch? — es gehen auch Menschen mit schwachen Augen ins Kino.

Jedenfalls ist "Genuine" eine filmische Überraschung, mit der gerechnet werden muß.

Über Genuine wird eifrig debattiert werden.

L. K. Fredrik: "Genuine", Marmorhaus. Film-Kurier (Berlin) 03.09.1920, S. 1 (Text transkribiert von Olaf Brill).





ct: "Genuine" im Marmorhaus

Da der Autor des Caligari-Films, Carl Mayer, und sein Regisseur Robert Wiene für diese "Tragödie eines seltsamen Hauses" verantwortlich zeichneten, hatte man angenommen, daß die expressionistischen Experimente hier fortgesetzt werden sollten. Allein der Schöpfer der Dekorationen und Kostüme, Cesar Klein, hat sich in diesem Film auf einem ganz neuen Gebiet versucht, das ebenfalls malerischen Reichtum sich breit auswirken läßt, jedoch durch ein Zuviel an unruhigem Linienwerk, an bizarren Arabesken die reine schauspielerische Linie verwirrt. Auch die Vorgänge, phantastisch und grausam, tragen nicht die zwingende Notwendigkeit der Caligari-Handlung in sich. Der weibliche Vampyr dieser Zauberwelt ist Fern Andra. Bei allem guten Willen, sich vom Klischeen freizumachen, gelingt es ihr nicht, den dämonischen Gehalt der Rolle zu versinnlichen. Dagegen überraschen H. H. v. Twardowsky als ekstatischer Jüngling und Ernst Gronau als der irrsinnige Besitzer des Spukhauses durch seinen Instinkt für stilsichere Wirkung. Immerhin ist das Werk als neuer Versuch, den Film aus der Sphäre des Alltäglichen zu retten, beachtenswert.

ct: "Genuine" im Marmorhaus. Vossische Zeitung (Berlin), 04.09.1920 (Morgen-Ausgabe), S. 4 (Text transkribiert von Olaf Brill).





Rudolf Kurtz: Genuine

Der Erfolg des Caligarifilms ermunterte zu Genuines Geburt. Was dort Versuch war, sollte nun Erfüllung werden. Die Architektur wurde einem Maler von Rang anvertraut: César Klein. Die Beziehung zum großen Publikum sollte durch eine andere Größe verbürgt werden: Fern Andra.

Die Führung des Genuine-Films übernahm der Maler. Kleins dekorativer Expressionismus ist reines Kunstgewerbe. Überladenes, übersteigertes, orientalisches Teppichmuster mehr als Gestaltung von Raumelementen. Etwas, das in Farbe blühend seinen Reiz hat, ist durch die Photographie des entscheidenden, seines einzigen Lebenswertes entkleidet worden. Und der geheimnisvolle Zusammenklang, der sich in der Zusammenstellung eines phantastisch einsamen Greises, einer erdenfernen Frau, einem Neger und einem blonden Jüngling ergab — diese Harmonie scheiterte an dem nicht umzubringenden Naturalismus der Hauptdarstellerin.

Und daran vermochten Kleins Entwürfe nichts zu ändern, seine Kostüme nicht, die ein raffiniertes Gemisch aus dem spielerischen Orientalismus Poirêts waren: von Schleiern, blühendem Fleisch und geheimnisvoll bestickten Stoffen. Nichts ging zusammen, es blieb ein verwirrtes schillerndes Bild, das auch im Stoff keine Stütze fand. Carl Meyer [sic] hat absichtsvoll auf Expressionismus geschrieben: die Handlung ist bewußt geheimnisvoll, alle Linien planmäßig verwischt. Das geistige Signalement der Figuren ist im Dunkel gelassen, die Ereignisse selbst nur als grelle Farbklexe hingesetzt, ohne ihnen psychologisch oder intellektuell Voraussetzungen für das Verstehen zu schaffen.

Irgendwo ein Sonderling, kahlschädelig, mit seltsamer Eleganz und irren, verhaltenen Augen. Fern lebt er, am Rande der Welt, in einer kleinen Stadt: eingekapselt in einem großen Steinbau, in den keine Seele dringt. Schweigend starren die hohen Mauern in den Abend, umspült vom Grauen des Volks, das Geheimnisvolles ahnt und mit scheuem Verdacht den einzigen Menschen betrachtet, der morgendlich durch das schwere kaum geöffnete Tor schlüpft: der Barbier. Der alte Barbier ahnt nichts von Geheimnis: er rasiert mit unendlicher Sorgfalt die gelben Wangen des Alten, ein hühnenhafter Neger begleitet ihn hinaus, entläßt ihn, und alles andere ist stumm, dunkel und undurchdringlich. [S. 71 Abbildung, S. 72:]

Eines Tages schickt er seinen jungen, verträumten Gehilfen Florian in das Haus. Ein Jüngling, frühlingshafter Sehnsucht voll, nach Leben und Abenteuern in sanfter Seele gierig. Ihm wird das Haus Schicksal. Der Atem der hohen, grauenhaft prunkenden Räume lastet schwer, geheimnisvoll ist die Stille, ein lebendes Gespenst der gelbe, kahle Alte. Und plötzlich löst sich aus grell bestickten Vorhängen, herumgeschleuderten Flächen, lichtblitzenden Linien ein Formteil, ein lebendgewordenes Phantom, nein, ein Mensch, ein Mädchen, süß im Geheimnis, fern in der Sehnsucht, erdenweit im Aufschlag des Auges. Sie ist der Geist dieser Dinge, ohne Heimat, ohne Schicksal, ohne Sinn und ihre dunklen Augen saugen dem Jüngling Geheimnis aus der Seele, Willen schmilzt, nur der Hauch dieser Haut, der Duft dieser Hände, die Süße dieses Mundes. Traum umfängt ihn, Traum-Meer spült an ihm herauf. Irgendwoher stachelt sich Blutrausch in ihm auf, Blick von süßen, fernen Augen, das scharfe Messer in seiner Hand — das Rasiermesser in [S. 73] seiner Hand! Und mit durchschnittener Kehle verblutet der Alte am Boden.

Dann wieder ein Irren unter nassen Bäumen, ein Zusammenbrechen in der Schlafkammer und wieder Da-Sein im alten Haus, das sich schweigend vor dem Jüngling öffnet. Da löst sie sich aus den geheimnisvollen bestickten Schleiern: fern, lockend, grausam — mit der sinnlichen Anmut schlanker, brutaler Tiere, und wieder öffnet sich ein Messer, ein Blitzen und am Boden verblutet Genuine, dunkel, sterbend, blaß verebbend.

Volk dringt ein, scheu, blond, vom Geheimnis verdeckt, steht Florian in einem Winkel. Seine Augen sehen nur eins, seine Ohren hören nur eins. Es ist immer nur ein Wort da, das wie ein gespenstischer Schall durch alle Räume schwingt: Genuine. Ein Bild, das alles entschuldigt: Genuine. Das Winken einer Hand, das Dolch und Gift verständlich macht: Genuine. Ein atemberaubender, würgender Reiz: Genuine. Und Sterben ist einfach, denn Genuine ist tot.

Dieser einfache, aber starke Reiz, den der Dichter vergegenständlichen wollte: erdenfernes Geschöpf im einsamen Haus, ist im Überwuchern des Ornaments verpufft. Genuine ist ein Ausstattungsfilm, der in seinem unorganischen Durcheinander das Auge mehr schmerzt als erfreut. Die Gestalten bleiben ohne Umriß, die Handlung im Nebel. Jede Führung verlorengegangen. Genuine steht auf keinem Boden: weder in der Wirklichkeit des Tages noch in der der Kunst. Statt straffer Komposition, statt Beschränkung auf sparsame, aber stark bewegte Formen, die der expressionistische Film hergibt, ist eine Oper in wildem Stil zustande gekommen. Die Schauspieler wirken auf Rhythmus trainiert, ohne daß eine Atmosphäre entsteht, die wiederum die Schauspieler auf kunstvolle Weise bedingt. Und von der Heldin erwartet man eigentlich immer eine Arie.

Genuine ist ein expressionistischer Film, weil Expressionismus ein Erfolg war. Aber statt einer Methode der Komposition, wurde er sozusagen Inhalt des Films. An diesem paradoxen Zwiespalt verblich der expressionistische Film. Genuine war der offizielle Nachweis, das diese Filme kein Geschäft sind. Die "Konjunktur" war zu Ende.

Rudolf Kurtz: Genuine. In: ders.: Expressionismus und Film. Berlin: Verlag der Lichtbildbühne 1926 (Nachdruck: Zürich: Hans Rohr 1965), S. 70-73 (Text transkribiert von Olaf Brill).



 L I T E R A T U R E





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