The Internet Source Book for Early German Film
Final update: 11.11.1999 — Editors: Olaf Brill & Thomas Schultke
We shut down. All good things must have an end. - But we'll be back. January 1, 2000. www.filmgeschichte.de
Der Januskopf
1920, F. W. Murnau
D A T A S H E E T
Der Januskopf
— Eine Tragödie am Rande der Wirklichkeit (1920)
aka Schrecken (preview title)
Janus-Faced aka Love's Mockery aka Head of Janus
Produktionsgesellschaft / Production company: Lipow-Film, Berlin.
Atelier / Studio: Film-Ateliers am Zoo, Cserépy-Atelier.
Premiere / Premičre: 1920 August 26, Marmorhaus, Berlin (Preview 1920 April 28).
Drehbuch / Writer: Hans Janowitz (from "The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde" by Robert Louis Stevenson).
Regie / Director: Friedrich Wilhelm Murnau.
Bauten / Set designer: Heinrich Richter.
Kamera / Photographer: Karl Freund, Carl Hoffmann.
Darsteller / Cast:
- Conrad Veidt (Dr. Warren & Mr. O'Connor),
- Margarete Schlegel (Grace aka Jane),
- Magnus Stifter,
- Willi Kaiser-Heyl,
- Margarete Kupfer,
- Danny Gürtler,
- Gustav Bötz,
- Jaro Fürth,
- Hans Lanser-Ludolff,
- Marga Reuter,
- Lanja Rudolph,
- Béla Lugosi.
C O N T E M P O R A R Y R E V I E W S
Martin Proskauer: "Schrecken"
Dr. Jekyll und Mr. Hide
Interessentenvorführung beim Lipow-Film
Das Thema des phantastischen Films ist seit geraumer Zeit beliebt, und damit hat die Filmkunst einen guten Schritt vorwärts getan, denn er führte in unbestelltes fruchtbares Gebiet. Wir haben die "Nachtgestalten" gesehen, die "Unheimlichen Geschichten", "Das Kabinett des Dr. Caligari", den Film "Der Andere" (nach dem Roman von Lindau) und mit diesem letzten sind wir auf den unmittelbaren Vorläufer des "Schrecken" gekommen. Denn dieser Film ist aufgebaut auf der Handlung des weltbekannten Romans von Stevenson "Dr. Jekyll und Mr. Hide".
Bekanntlich ist Jekyll und Hide ein und dieselbe Person, ein Londoner Gentleman, der dem geheimnisvollen Zwang einer Doppelnatur folgend, zeitweise in den Paroxysmus eines wilden Tieres verfällt und im Dämmerzustand grausige Taten begeht. Diese Aufgabe, den korrekten Mann höheren Standes und den besessenen Verbrecher darzustellen, mußte manchen Darsteller reizen. Hier ist Konrad Veidt der Träger der Doppelrolle. Und er füllt sie aus, er lebt in ihr, wie es wohl kein anderer deutscher Schauspieler vermag. Man kann bereits im phantastischen Film zwei Typen von Hauptrollen unterscheiden, den hysterischen, gleichsam unter hypnotischem Zwang stehenden Mann und den Epileptiker, den organisch Kranken. Der erste Typ wird vollendet von Veidt verkörpert, wie ihn auch seine äußere Erscheinung dazu prädestiniert (man denke an den Somnambulen im "Caligari"), der andere Charakter ist eigenstes Gebiet von Werner Krauß ("Dr. Caligari", Smerdjakoff in den "Brüdern Karamasoff").
Hier im "Schrecken" spielt also nur Veidt. Man ist gepackt und gespannt, selbst wenn man alle Weiterentwicklungen der Fabel kennt, man will sehen, wie er die immer stärkeren Schwierigkeiten der gewaltigen Doppelrolle besiegt. Denn Veidt spielt, er spricht mit dem Körper, mit den Händen (Ihr andern, lernet doch von ihm die Sprache der Hände), nicht mit dem Mund. Veidts Können ist so groß, daß er sogar auf das lauernde Kuschen, die eine Schulter voran, verzichten sollte, denn diese Haltung fängt an, Schema zu werden: ich sah sie noch in jedem phantastischen Film. Aber trotzdem, wenn Veidt so etwas macht, so hebt er es wieder aus dem Konventionellen heraus zu individueller Bedeutung.
Eine Szene, wie die in er Wohnung des Mr. Hide, als der Besessene die zarte Grace betastet, sie dann laufen läßt, sich an ihrer Angst weidet, ihr befiehlt, zum Trinken zu holen und den Mantel anzuziehen, wie da alles in den Händen liegt, diesen zuckenden, gierigen Gliedern — dies ist pantomimische Kunst im besten Sinne.
Die Gestalt der Grace, der von Dr. Jekyll geliebten Tochter seines Freundes, war bei Margarete Schlegel gut aufgehoben; in ihrem Spiel lag eine gewisse schüchterne Zurückhaltung, die angenehm wirkte. Zu wilde Gesten und Grimassen hätten wie eine Nacheiferung Veidts ausgesehen und dessen Effekte gestört.
Auch Magnus Stifter als Rechtsanwalt Utterson war gut in Spiel und Ausdruck.
Die Regie (Murnau) hatte geschmackvolle und manchmal wirklich englisch anmutende Interieurs geschaffen, die nobel, aber nicht protzig wirkten. Viele Szenen spielen in einem dämmrigen Halblicht, das die Phantastik bedeutend unterstützt, so ist z.B. die Szene auf dem Platz, als Hide das Kind überfällt, von schauriger Glaubwürdigkeit.
Es wäre vielleicht gut gewesen, auch die Szenen, in denen die rationalistische Glaubfähigkeit des Zuschauers stark auf die Probe gestellt wird, in mystisches Halbdunkel zu hüllen, die Bilder aus dem Laboratorium, der Traum u.a. hätten dadurch noch gewonnen. Denn so prachtvoll Veidt den jähen Übergang vom Gentleman zum Raubmenschen spielt, so seltsam ist der Wandel, den seine Frisur dabei durchmacht, die plötzlich vom struppigen Schopf zur mondänen Glätte gebändigt erscheint. Je mehr solche Dinge aus dem zu hellen Schein der Lampen in die Dämmerung der Wirklichkeitsgrenzen verlegt werden, desto stärker wird der künstlerische Eindruck sein.
Der Gesamteindruck aber, der durch geschicktes Entfernen kleiner Unebenheiten und Bedenklichkeiten erhöht werden kann, ist der einer sehr guten und wirkungsvollen Leistung.
Das Phantastische im Film ist nun längst als Gewinn anerkannt, die Möglichkeiten des Grausigen und Schrecklichen, des Seelisch-Düstern und Unheimlichen sind fast bis auf alle Nuancen abgewandelt.
Wann kommt nun der fröhliche phantastische Film, das Spiel, das uns die Sinnlosigkeit des Lebens und den Zwiespalt unserer Seelen nicht noch schwerer empfinden läßt, sondern uns erleichtert und uns fröhlich macht?
Martin Proskauer: "Schrecken". Film-Kurier (Berlin) 29.04.1920, S. 1 (Text transkribiert von Olaf Brill).
Anon.: Der literarische Film
(Doppelbesprechung: "Die entfesselte Menschheit" (Nivo) und "Schrecken" (Lipow))
[... S. 19] Die neu begründete Lipow-Film-Gesellschaft hat der Presse in diesen Tagen ihr neues Filmwerk unter dem Titel "Schrecken" vorführen können. Wenn man den Films der vielen Neugründungen oft sehr skeptisch gegenüber steht, weil viele Unberufene sich zur Herstellung von Films berufen fühlen, so darf man das Mißtrauen dieser Firma gegenüber von vornherein fallen lassen, weil der Inhaber ein alter Fachmann ist. So ist es auch zu erklären, daß schon der erste Film von zweifellos guter Qualität ist und dem Geschmack des großen Publikums Rechnung trägt.
Der Film "Schrecken" hat das Phantastische zum Grundton. Das Sujet ist aufgebaut auf der Handlung des bekannten Romans von Stevenson, in dem die Doppelnatur eines Dr. Jeckyll geschildert wird. Dieser Gentlemen wohnt in einer luxuriösen Wohnung und verkehrt mit den ersten Kreisen, aber das Böse in ihm tritt periodenweise so in Erscheinung, daß er in einem gewissen Dämmerzustand alle möglichen Verbrechen verübt.
Die Hauptrolle dieses Dr. Jeckyll hat Conrad Veidt in geradezu bewunderungswürdiger Virtuosität zur Darstellung gebracht. Auf der einen Seite der elegante Lebemann, auf der anderen Seite die Verbrechernatur, die dem Zwange gehorchend alle Schandtaten ausführt. Nur ein Künstler wie Veidt war einer solchen Rolle gewachsen.
Neben ihn tritt in der weiblichen Hauptrolle Frl. Margarete Schlegel besonders hervor, die ihrer Rolle als Grace eine starke dramatische Wirkung zu geben versteht.
Die Regie, für die Herr Neumann zeichnet, versteht es, dem Ganzen ein einheitliches Gepräge zu geben. Die Interieurs sind sehr geschmackvoll gestellt, die einzelnen Bilder von guter plastischer Wirkung. Die Handlung ist von Akt zu Akt dramatisch sich steigend aufgebaut und erregt bei dem Beschauer bis zum Schluß das gleiche Interesse. Alles in Allem: Es ist ein guter Publikumsfilm mit starken künstlerischen Akzenten.
Anon.: Der literarische Film (Doppelbesprechung: "Die entfesselte Menschheit" (Nivo) und "Schrecken" (Lipow)). Lichtbild-Bühne (Berlin) No. 18, 01.05.1920, S. 18f (Text transkribiert von Olaf Brill).
L. K. Fredrik: "Der Januskopf"
Marmorhaus
Es spukt mancherlei in diesem Film, den Hans Janowitz nach einer englischen Idee bearbeitet hat. Sagt er. Es mag auch sein, daß das zutrifft. Jedenfalls sind dann in dieser englischen Idee allerhand Elemente enthalten, denen man in Edgar Allan Poe, noch mehr in Oskar Wilde, im "Studenten von Prag" und, in gewissem Sinne, auch in "Trilby" begegnet sein dürfte. Die Patenschaft ist also zahlreich. Daß sie gut ist, zeugt für den guten Geschmack dessen, den die Idee befiel, und des Herrn Janowitz. Irgendwie, irgendwo und irgendwann ist sogar einmal ein seltsam verwandtes Sujet aufgegriffen und verarbeitet worden. Jedenfalls kann es eindrucksvoll nicht geschehen sein, da die Erinnerung daran nur verschwommen ist. Es muß zugegeben werden, daß der Vorwurf zur Verarbeitung lockt.
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Wie diese Aufgabe bewältigt wurde, dafür legte am ausgezeichnetsten Conrad Veidts Glanzleistung Zeugnis ab. Mit ihm, den Darsteller des Dr. Warren, fiel oder gelang der ganze Plan. Er gelang. Das ist die Hauptsache und erweist die Berechtigung, die Verfasser und Regie besaßen, nach diesem Stoff zu greifen.
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"Der Januskopf" — "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust." Aber nicht die "materielle" Seele, die sich "in derber Liebeslust an die Welt mit klammernden Organen" hält, soll zur Illustration gelangen, sondern die Seele, die, durchzuckt von bösen Trieben, im Dienste des Bösen das Böse will und auch das Böse, nur das Böse schafft. Nicht steht der Erfolg als veredelnder Ausgleich, wie hinter dem Faustschen Mephistopheles, hinter diesem verbrecherischen Tun. Die "derbe" Seele Goethes ist ein ganz nützliches und brauchbares Organ — wollens doch nicht leugnen! Die "Gefilde hoher Ahnen" — nun schön — aber auch der Augenblick hat seinen Reiz und seine Freude. Goethes Mephisto ist geradezu ein Engel gegen diesen Dr. Warren, der als O'Connor Verbrechen über Verbrechen begeht. Und Goethes Dr. Faust, der die andere , die "edle" Seele, die sich "gewaltsam von dem Duft trennen" will ("wer immer strebend sich bemüht" etc.), verkörpert, verhält sich dem edleren Teil des Doktor Warren gegenüber wie ein Eichbaum zum Grashalm. Von den Guttaten des Dr. Warren erfahren wir nichts, es sei denn die (von Conrad Veidt meisterlich) angedeutete Reue, bisweilen Verzweiflung über das andere "Ich".
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Also so ganz ist es dem Forscher, eben diesem Dr. Warren, doch nicht gelungen, das Gute vom Bösen im Menschen zu scheiden. Sonst wüßte das Gute vom Bösen so wenig, wie das Böse es vom Guten weiß, wenn es an der Tat ist. Sonst dürfte nicht allein das Böse in Tatendrang schwelgen, sonst müßte das auch das Gute. Was indes, wie gesagt, nicht der Fall ist. Dr. Warren ist für gewöhnlich ein ganz normaler Mensch. Nur wenn er sein "böses" Elixier verschluckt hat, dann wird er die Bestie, die da mordet und schändet, die Kinder und Greise zu Opfern sich auswählt, die mit gierigen Augen und gierigen Händen in fremden Schmerzen wühlt. Er wird es dann schon äußerlich — der sympathische, gerade gewachsene, nette, junge Mann (der Herr Veidt — bitte, sich zu überzeugen! — in Wirklichkeit ist) wird zu einem krummrückigen, gedruckten, lauernden, haarigen, affenartigen Subjekt. Dr. Warren ist dann O'Connor und zieht auf Verbrechen aus, und Verbrecher sind seine Schlepper und Helfer. Dr. Warren hat also eigentlich nur das Elixier des Bösen gefunden. Daß es über ihn Gewalt gewinnt, ist sein persönliches Pech. Er erhofft — ganz Fliegender Holländer! — Erlösung durch die Liebe eines reinen Mädchens oder die reine Liebe eines Mädchens. Aber hat er nicht dieses Mädchen als O'Connor befleckt? Hat er diese Liebe nicht selbst beschmutzt, indem er überhaupt zuließ, daß in ihr Zweifel über ihn aufstiegen? Gewiß! Deshalb wird ihm Mädchen wie Liebe versagt, und (da er sich durchaus nicht immer strebend bemüht hat) muß er sterben. Eben noch Dr. Warren, aber von dem Drang besessen O'Connor zu werden und nicht mehr im Besitze des Gegengiftes, das die Wirkungen der vielen Dosen Bosheitselixier paralysieren könnte.
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Man sieht scharf, logschiert hat der Verfasser die (englische) Idee nicht durchgeknetet. Sonst wäre dieser Schluß nicht möglich. Psychologisch ist festzustellen, daß Dr. Warren eine moralisch nicht ganz taktfeste Natur sein muß. Das Böse kann nur Wurzel schlagen, wo es Boden findet. Und bei Dr. Warren findet es sehr guten Boden. Darüber bliebe keine Täuschung. Darüber helfen auch keine Reue und keine Verzweiflung (selbst Conrad Veidts nicht) hinweg.
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Wie bemerkt — die ganze Filmtragödie, die aus einem Vorspiel (das eigentlich nicht nötig gewesen wäre, "Alraune" hat nämlich, wenn auch anders, auch eines!) und sechs Akten besteht, (von denen der vierte und fünfte besser zusammengezogen worden wären) steht und fällt mit dem Darsteller des Dr. Warren — O'Connor. Conrad Veidt besitzt das weltmännisch-elegante, gentlemenlike-Gelassene, vornehm-Blasierte, das Geistige, das Durchgeistigte, die Ruhe des großen Herrn von Welt. Und er ist andererseits von scharfer Charakteristik, von eindrucksvoller Geste, zwingender Mimik und grotesk-abscheulichen Möglichkeiten. Er hat eine erstaunliche Leistung vollbracht, für die ihm Verfasser und Regisseur herzlich Dank wissen sollen. Über ihn steht Margarete Schlegel als die reine Unschuld, die ihm die Erlösungstat schließlich versagt und (noch nicht ganz vollendet im Ausdruck) über die Erkenntnis, daß Dr. Warren und O'Connor ein und dieselbe Person sind, vor Entsetzen den Verstand verliert. Sie spielt jung und schlank und eindrucksvoll. Auch die übrige Besetzung war durchaus gut. Magnus Stifter, Magarete Kupfer, Gustav Bötz, Willy Kaiser-Heyhl, Jaro Fürth, Marga Reuter, Lanja Rudolph, Danny Gürtler (!) nannte der Theaterzettel. Andere verschwieg er.
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Der Regisseur F. W. Murnau war ausgezeichnet. Einige Kürzungen, leicht zu bewerkstelligen, würden gut tun. Verschließen des Testaments im Geldschrank — selbstverständlich. Die Massenszenen am Obelisk (es war doch einer?) aus dem Traum — überflüssig und sogar störend. Dann die Aktzusammenschweißung! Sonst aber alles tadellos. Wie die Photographie, die stellenweise glänzend war. Die Augen O'Connor — ausgezeichnet. Den Herren Freund und Hoffmann Lob zu sagen, ist Überflüssigkeit. Dekorateur Richter ist ein Meister in seinem Fach.
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Ein Publikumsfilm? — Wir bezweifeln es. So gut er auch sonst ist. Die Überspannung des Grausigen (ohne psychologische Notwendigkeit und den Gegenklang des Guten), die katastrophale Disharmonie, in der der Film ausklingen muß, dazu eine gewisse Verzwicktheit der Handlung, die erst am Schluß und etwás weitschweifig gelöst wird (wenn sich die Spannung auch bereits etwas gelockert hat) — das alles entspricht nicht so durchaus dem nach leichter Ware begehrenden Publikum. Der Film wird vor erlesenem Kreise immer wirken; die anderen sehen nur die Sensationen in ihm, die Nebensache sind und ihnen deshalb längst nicht kraß genug gegeben sein dürften. Erfolg nach dem starken zweiten und dritten Akt und dem Schluß. Man feierte Veidt. Wie es sich gebührte.
L. K. Fredrik: "Der Januskopf". Film-Kurier (Berlin) 27.08.1920, S. 2 (Text transkribiert von Olaf Brill).
rg: Der Januskopf
Als der Veidt-Film, der am Donnerstag über die weiße Wand des Marmorhauses lief, noch den weit glücklicheren Namen "Schrecken" führte, widmeten wir ihm bereits einen Artikel. Heute sei daher nur festgestellt, daß der Film sonst (d.h. bis auf den Titel) nichts eingebüßt hat und durch seine athemraubende Spannung den großen Erfolg errang, den wir ihm prophezeihten. Conrad Veidt sei zu seiner nicht übertreffenden Meisterleistung herzlich beglückwünscht und ebenso der Bioscop-Verleih zum Erwerb dieses Kabinettstückes.
rg: Der Januskopf. Lichtbild-Bühne (Berlin) No. 35, 28.08.1920, S. 39 (Text transkribiert von Olaf Brill).
t: Marmorhaus
Der Detektivfilm ist erschöpft, das Gesellschaftsdrama auf der stummen Leinwand nicht variationsfähig genug — bleibt als das dankbarste Gebiet für den Filmautor das Reich des Wunderbaren. "Caligari" war bewußt aus dem Zeitmilieu hinweg in ein bizarres Traumland verlegt, der "Januskopf" von Hans Janowitz bewegt sich dagegen absichtsvoll "am Rande der Wirklichkeit". In den Rahmen der Alltagsumgebung eingeengt, wirkt das Unheimliche um so explosiver. Die Novelle, die dem Film zugrundeliegt, ist eine der besten und — quälendsten Doppelgängergeschichten, kompliziert in der Exposition und kompliziert in der Spannungsmomente häufenden Steigerung zur Katastrophe. Daß davon bei der Umschöpfung in den Film nichts verlorenging, ist eine außerordentliche Leistung, ist Neu- nicht Umschöpfung. Der Film kann nicht erzählen; wer ihn dazu zwingt, der drosselt ihm mit den lang sich abspulenden Bändern die dramatische Lebensluft ab. Der Film kann nur klug herausgeschnittene Episoden bringen und diese Episoden müssen aus den eigensten Mitteln der Inszenierung noch intensiver gestaltet werden. Das spannendste Buch kann ohne diesen Zuschuß eigener Gestaltungsfähigkeit zum langweiligsten Drama werden. Alle diese Klippen sind hier überwunden. Eingestreute Einfälle, wie die Unterstreichung eines sensationellen Mordes durch das tolle Ausschwärmen einer Schar von Zeitungsjungen, wie der Angsttraum, in dem eine unheimliche Gestalt sich zu einem tobenden Haufen einander völlig gleicher Gespenster vervielfältigt, solche Einfälle zeugen von einer glücklichen Hand. Schade nur, daß die Zuschauer zu rasch über das Geheimnis der Doppelexistenz des Helden sich klar werden und so ein Teil des Spannungsreizes verfliegt, nur weil ein Bart ein wenig zu locker geklebt ist. Konrad Veidt, der die zweifache Rolle mit erstaunlicher Wandlungsfähigkeit spielt, chargiert das grotesk scheußliche Gebaren seines Doppelgängers ein wenig zu zwanghaft. Das Unheimliche muß selbstverständlich sein, um umheimlich zu wirken. Aber es wird — auch um ihn herum — gut gespielt. Und außerdem sind die Bilder im Ausschnitt wie in der Lichtwirkung ausgezeichnet. Man hat, um die Schwarzweißmalerei von Licht und Schatten fest in der Hand zu haben, für einen Teil der Straßenszenen eigens plastische Kulissen erbaut, und das Experiment hat sich gelohnt. Im Parkett rebellierte einer im Namen der realen Möglichkeit gegen die spukhafte Verwandlung des Helden und schien sich nach einem ersatz-realistischen Sittenfilm zu sehnen, aber er blieb in der hoffnungslosen Minderheit.
t: Marmorhaus. Berliner Börsen-Courier 29.08.1920 (Morgen-Ausgabe), S. 7 (Text transkribiert von Olaf Brill).
L I N K S
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